Im Bereich der Product Compliance ist der Begriff „Hersteller“ eine zentrale rechtliche Definition, die weit über den alltäglichen Sprachgebrauch hinausgeht. Er bezeichnet nicht nur das Unternehmen, das ein Produkt physisch fertigt, sondern jede natürliche oder juristische Person, die die primäre Verantwortung für die Sicherheit und Konformität eines Produkts beim Inverkehrbringen auf dem europäischen Markt trägt.
Wer gilt als Hersteller im Sinne der Product Compliance?
Die europäische Produktsicherheitsverordnung (General Product Safety Regulation, GPSR) definiert den Hersteller als die Person, die ein Produkt herstellt oder entwickeln bzw. herstellen lässt und es unter ihrem eigenen Namen oder ihrer Marke vermarktet. Diese Definition wird in der Praxis auf mehrere Akteure ausgeweitet:
- Der klassische Hersteller: Das Unternehmen, das ein Produkt selbst fertigt und unter eigenem Namen vertreibt.
- Der „Quasi-Hersteller“: Ein Händler oder eine Marke, die ein von Dritten gefertigtes Produkt unter eigenem Namen oder eigener Marke verkauft (z.B. Handelsmarken). Rechtlich wird er wie der eigentliche Hersteller behandelt.
- Der wesentliche Veränderer: Wer ein bereits auf dem Markt befindliches Produkt so wesentlich verändert, dass dessen Sicherheit oder Konformität beeinflusst wird, übernimmt die Herstellerpflichten für das modifizierte Produkt.
- Der Importeur (Herstellerfiktion): Wer ein Produkt aus einem Drittland (z.B. China) erstmalig in die EU einführt, gilt als Hersteller und muss sicherstellen, dass das Produkt alle europäischen Vorschriften erfüllt. Dies ist eine häufige Falle im E-Commerce.
Die zentralen Pflichten des Herstellers
Der Hersteller ist der primäre Adressat der Product-Compliance-Anforderungen. Er muss nachweisen, dass seine Produkte sicher und gesetzeskonform sind. Zu den Kernpflichten gehören:
- Risikobewertung: Systematische Identifizierung, Bewertung und Minderung aller potenziellen Risiken, die vom Produkt ausgehen können.
- Erstellung der Technischen Dokumentation: Umfassende Dokumentation, die alle Nachweise zur Konformität enthält (z.B. Konstruktionspläne, Prüfberichte, Risikoanalyse). Diese muss für die Marktüberwachungsbehörden mindestens 10 Jahre bereitgehalten werden.
- Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens: Anwendung der gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren, um die Einhaltung aller relevanten Richtlinien und Normen nachzuweisen.
- Ausstellung der EU-Konformitätserklärung: Rechtlich verbindliches Dokument, in dem der Hersteller erklärt, dass sein Produkt allen geltenden EU-Vorschriften entspricht.
- Anbringung der CE-Kennzeichnung: Sichtbares Zeichen dafür, dass das Produkt konform ist. Für viele Produktgruppen ist dies zwingend erforderlich.
- Produkt- und Herstellerkennzeichnung: Anbringung von Name, Adresse, Typen- und Chargennummer zur eindeutigen Identifikation und Rückverfolgbarkeit.
- Marktüberwachung: Nach dem Inverkehrbringen muss der Hersteller den Markt beobachten und bei Bekanntwerden von Sicherheitsmängeln unverzüglich Korrekturmaßnahmen ergreifen, bis hin zum Rückruf.
Rechtliche Grundlagen und aktuelle Entwicklungen
Die Rolle des Herstellers ist in einer Vielzahl von Gesetzen verankert. Die wichtigste Neuerung ist die General Product Safety Regulation (GPSR, EU 2023/988), die ab dem 13. Dezember 2024 die bisherigen Regeln EU-weit verschärft und vereinheitlicht. Sie stärkt insbesondere die Anforderungen an die Risikoanalyse, die Rückverfolgbarkeit und die Pflichten im Online-Handel. Weitere relevante Vorschriften sind das deutsche Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), die EU-Marktüberwachungsverordnung (EU 2019/1020) sowie zahlreiche produktspezifische Richtlinien (z.B. Maschinenrichtlinie, Funkanlagenrichtlinie).
Fazit: Eine Rolle mit weitreichender Verantwortung
Die Rolle des Herstellers in der Product Compliance ist umfassend und mit erheblicher Haftung verbunden. Verstöße können zu hohen Bußgeldern, Vertriebsverboten, kostspieligen Rückrufaktionen und schweren Imageschäden führen. Ein proaktives und systematisches Compliance-Management ist daher für jedes Unternehmen, das als Hersteller agiert, unerlässlich, um rechtssicher und erfolgreich am Markt zu bestehen.